Christian Suchy

Über Christian Suchy, Essay
Leben mit Suchy – ein Baustellenbericht
Oder: wie Suchy uns fertig gemacht hat
von Christian Wetschka, 2013

Ja, wir sind alle ziemlich müde. Nach einem Monat Leben auf der Baustelle: erschöpft. Auf den Baustellen eigentlich, Mehrzahl: Baustelle Bühne. Baustelle Körper. Baustelle Rolle. Baustelle Text. Baustelle eigenes Leben. Baustellen, wohin du schaust, wohin du spürst, wohin du denkst.
Wer mit Suchy lebt, wie wir das vier Wochen (gefühlte vier Jahre) getan haben, dem wird das ganze Leben zur Baustelle, denn Lernen ist ja immer eine Art innerliches Um-Bauen.
Zum Beispiel: Schauen lernen. Sich selber anschauen lernen. Sich selber anders spüren lernen. Den Raum, das Licht, die eigene Stimme, die eigene Sprache (was überhaupt ist meine Sprache, kann meine Sprache?), das eigene Gesicht,… Hat man sich vorher überhaupt richtig gesehen? Was hat man vorher überhaupt gesehen? Und wie kann es sein, dass, wenn man einen anderen oder eine andere spielt, sich selber dabei so nahe kommt wie selten zuvor?

Arbeiten mit Christian Suchy: immer auf mehreren Baustellen gleichzeitig. Gewohnte Wege nicht mehr begehbar, da vorübergehend aufgerissen. Grenzüberschreitungen täglich. Von Suchy provoziert, nie erzwungen, sondern verführt. Suchy kritisiert nie das Spiel, denn das hat er nicht nötig. Suchy kritisiert durch Begeisterung, eine der radikalsten Formen der Kritik. Er selbst ist die Kritik im ursprünglichsten Sinn, indem er das das Spiel zu einer Frage der Existenz werden lässt. Richtig oder Falsch – das ist keine dramaturgische Frage (dazu lässt er das Spielen nicht verkommen), sondern eine Frage von Stimmigkeit. Und die ergibt sich. Nämlich ihm, dem Suchy. Denn angesichts von Suchy ergeben sich die Fragen, manche geben sogar auf, kommen nicht einmal auf den Gedanken, sich zu stellen…

Suchy springt auf, klettert ins Gerüst, wirft sich auf den Rücken, winselt, vibriert, wirbelt mit den Händen, IST Hamlet, eine Sekunde später steht er wieder auf den Beinen, dreht eine Pirouette, kichert irrwitzig, zieht den Dolch, IST Mercutio, – ein angedeuteter Sprung, ein Hüftschwung, Mercutio stirbt und steht als Ophelia wieder auf, Grollen, Beben, Abflug und Landung – ehe er sich wieder Suchy sein lässt. Nach mehrfachen Ex- und Implosionen im Körperkraftwerk Suchy ist der Beweis erbracht, dass die Grenze zwischen Physis und Psyche nur theoretisch existiert. Und zugleich ein Lehrbeispiel gegeben, wie einer Menschen motivieren kann, ihre Grenzen zu überschreiten. Durch Begeisterung eben.

Was Suchy tut, ist subversiv – und damit in einem weiten Sinn politisch. Er beherrscht das Theater, aber nie den Menschen. Er arbeitet vorwiegend im Kollektiv. Alle sollen mitreden, wenn auch nicht alle Recht haben können. Suchy fordert auf, mitzudenken, mitzudiskutieren, mitzuspielen. Das ist keineswegs Kräfte schonend, aber ziemlich demokratisch. Weniger demokratisch ist Suchy, wenn es um die ehernen Theatergesetze geht, oder um die für Suchy typische Reduktion auf das Wesentliche: weniger Licht, weniger Bühnenbau, weniger Kostüme, Verkleinerung des Publikumsraumes… Aber genau in dieser Reduktion auf das Wesentliche beginnt der Thrill…

Das Leben ist ein Thriller. Das ist der Punkt, an dem Suchy und Shakespeare einander begegnen. Und um nicht weniger scheint es bei seiner Arbeit mit Menschen zu gehen: um das Leben, das Ganze. Mit weniger will und kann Suchy sich nicht zufrieden geben. Und braucht er auch nicht, weil er durch Begeisterung überzeugt und zugleich herausfordert. Intensität und Präsenz sind seine stärksten Waffen (auch wenn manche glauben, es wäre sein Mund- und Handwerk, aber hinter dem Offensichtlichen des Könnens und Wissens stecken diese viel zwingenderen Prinzipien). Und wo Präsenz und Intensität mit Zärtlichkeit, ja Zärtlichkeit, einher gehen, öffnet sich die Möglichkeit – der Liebe. Alles, was Suchy macht, ist nie weniger als ein Liebes-Thriller.

Ja, tatsächlich: Zärtlichkeit. Eines der vielen Arbeitsprinzipien von Suchy. Dass die Körperarbeit die Basis für alles Suchy-Schau-Spiel ist, ist allgemein bekannt. Suchy, der Muskel-Kneter, Körperformer, leidenschaftlicher Osteopsychopath. Wer auch immer mit Suchy gearbeitet hat, weiß aber auch: was er tut, ist behutsam, respektvoll, professionell, reflektiert. Er geht weit, aber nie zu weit. Unerschrocken wagt er sich in jahrzehntelang antrainierte muskuläre Verspannungen vor und lässt sich nicht abschrecken von Schmerzensgestöhne oder oberflächlichen körperlichen Widerständen. Suchy folgt einem klaren Prinzip: Am Anfang steht die Bewegung. Die meisten Menschen haben verlernt, ihr Bewegungspotential zu nutzen, es vielleicht nie wirklich gekannt. Deshalb muss zuerst der Körper wieder erobert werden. Ein Kampf, der am Beginn jeder Probe steht: Suchytraining. Bodenturnen mit Geist. Eine Stunde lang. Bis der Körper „neutral“ ist, um sich anschließend in den Körper der Rolle zu formen. Wir haben gelernt: die eigentliche Bühne, auf der alles spielt, ist der Körper.

Zärtlich ist auch der Umgang mit den persönlichen Eigenheiten und Grenzen, die jede Schauspielerin und jeder Schauspieler auf die Baustelle mitbringt. Ein richtiger Zärtlichkeitserzieher ist Suchy. Unermüdlich erzieht er die Schauspieler zum zärtlichen Umgang mit sich selbst. Unter Aufbietung äußerster Zärtlichkeitsstrenge wirft er sich der lebenstypischen Schauspieler-Reaktion der Selbstkritik und Selbstzerfleischung entgegen. Jedem „Aber…“, jedem „Tschuldigung…“ bietet er persönlich die Stirn und lehrt mit prophetischer Autorität die Haltung der Selbstachtung: „Nehmts euch nicht selber was weg… Spürts, was euch die Zuschauer an Achtung entgegenbringen… Und jetzt sag mir drei Dinge, die dir heute gelungen sind…Wenn du noch einmal Entschuldigung sagst, machst 100 Liegestütze, aber mit einer Hand…Ihr fangts grad wieder an, die Kurvn noch unten zu nehmen. Und glei samma wieda dort, wo ma uns des Lebn nehman woin…“
– Warum stellen wir uns uns selbst in den Weg? –
En passant wirft Suchy kulturelle, philosophische, politische Fragestellungen auf, nebenbei, nur nicht mit dem Holzhammer, den er für immer verlegt hat, – und eh nur weil sich’s halt gerade so ergibt…

Zärtlich auch der Umgang mit der eigenen Sprache, und das ist oft auch eine verlorene, verschüttete. „Wo kommst du her?… Wie sagt ihr bei euch?… Wie sprichst du mit deiner Mutter?…“
Sprache ist Lebensgeschichte, ist Herkunft, und für Suchy: Heimat. Kein Suchy-SMS, das nicht in der Suchy-Sprache daherkommt, die ja eine unentwegte Entdeckung des eigenen Dialektes mit sich bringt. Suchy öffnet die Sinne für die Ausdruckstiefe desselben. Wer hätte gedacht, dass Shakespeares Texte sich, nicht nur sogar, sondern sogar viel besser im Dialekt verstehen lassen? „Sei oder ned sei? Woa oder ned woa?“
Suchy kniet sich – und das auch im engeren Sinn des Wortes – in die Sprache hinein. In die Sprache an sich und in die Sprache des einzelnen, also in die Sprachen des einzelnen an sich. Er bürstet sie gegen den Strich, bricht Sprachbilder auf, baut neue. Und irgendwann bist wirklich hiandeppad?

Der zärtliche Umgang erstreckt sich auch auf Biorhythmen. Auf Suchys Baustellen entsteht Musik. Um nichts anderes geht es: Um Sprachklänge (Dialekt), Körper-Rhythmen, Bewegungstempo,… Und Suchy selbst: eigentlich Dirigent. Mit dem Bleistift in der Hand gibt er Einsätze, formt Rhythmen im gemeinsamen Bewusstseinsraum, lockt Sprach-Klänge hervor, verändert Tempi des Sprechens und Atmens, erzwingt Crescendi und Diminuendi, Staccati und Legati, verdichtet und verflüssigt, je nach Bedarf. Jede und jeder ist lebendiger Teil und Zeuge eines gemeinsamen Kompositionsprozesses. Auf der Baustelle entsteht eine Symphonie.

Die Musik, die im Spiel entsteht, lebt von der Stille. Nie war es bei Proben von Kreativ am Werk so zwingend still. Rascheln mit Chipssackerl, brummende oder, Gott behüte, gar läutende! Handys, Flüstern oder Bodenknarren, sogar draußen Ball spielende Kinder, haben sich unter der strengen Miene des Dirigenten, die eine unbezweifelbare Androhung von Folterstrafen erahnen ließ, von selbst erledigt. Suchy, Tyrann der Stille, errichtet einen Raum der Konzentration und Achtsamkeit um die Menschen, mit denen er arbeitet, einen magischen Schutzraum, der irgendwann zwangsläufig dahin führt, sich auch selber zuzuhören. – Wir haben gelernt: Alles Schau-Spiel beginnt mit dem Horchen. Denn Schauen ist Horchen und Horchen ist Schauen. „Wie in der Musik die Pausen – und Pausen sind nicht Nichts, sie sind Musik.“ Zitat Suchy. Schau-Spielen ist Klang.

Ach ja, den Humor nicht zu vergessen. Wer viel lernen will, muss viel lachen. Wir haben viel gelacht auf der Baustelle.
Und gestaunt. Und staunen immer noch, wenn uns bewusst wird, in wie kurzer Zeit wir den Schäggsbia-Suchy-Kosmos umrundet haben.

Das alles war natürlich mehr als Theater. Vermutlich auch mehr als die Therapien, die viele von uns hinter sich gebracht haben, nämlich Lebenserfahrung.

Ja, Suchy, wird sind müde. Du hast uns fertig gemacht. Hiandeppad. Hiigschdraad hosd uns!
Mit deiner Intensität. Mit deiner unerschöpflichen Begeisterung. Deiner grenzenlosen Phantasie. Deiner unerbittlichen Zärtlichkeit…
Danke, Suchy.
In Liebe.
Ja, wirklich.

„Mia eaglean ned de Wöd,
des mochen e sovü aundare,
mia berüan“

Christian Suchy

Das „Movement“, das von Christian Suchy ausgegangen ist und noch immer ausgeht, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Als wir 2012 unser großes 20-Jahres-Fest in der Ruckergasse mit dem „Maskenbällchen“ würdig gefeiert haben, beschlich uns zwischendurch schon das Gefühl, alle unsere Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben, methodisch, künstlerisch, technisch und auch kräftemäßig. Das Ende des Projekts schien näher zu rücken. Als „Suchy“ – hier nun als Motor und Prinzip angesprochen – die Kreativ am Werk-Truppe innig „umarmte“, um mit ihr zu arbeiten, hat er Türen aufgestoßen, die wir in der alten Arbeitsweise nicht mehr oder überhaupt nie aufbekommen hätten. Die Prozesse und Ergebnisse der letzten Jahre, die in der Gruppe eine künstlerische Identität entstehen haben lassen, überzeugen uns alle von Mal zu Mal, dass dieser Prozess weitergehen soll und muss, ja dass er noch mehr Menschen – sowohl als Akteure als auch als Publikum – erreichen soll – und wohl auch wird.

Nach einigen Workshops und Coachings mit Christian Suchy, wagen wir im Jahr 2013 ein ganzes Stück mit Suchy. Ihm gelingt es, dass Shakespeare-Texte gelesen und bearbeitet werden – und die Mitwirkenden aufgrund von Körpertraining- und Tier-Improvisations-Einheiten „Personagen“ erarbeiten, eigenständige Figuren, – keine Rollen! – die miteinander in Aktion treten und die Handlung erst in einem weiteren Schritt hervorbringen. Die Körperarbeit wird zur Basis für die Geschichte(n), der Text formt sich erst, wenn die „Personagen“ tragfähig sind. Bei der klassischen Rollenarbeit wäre es genau umgekehrt. Suchy motiviert alle Akteure zu einem radikalen Perspektivenwechsel. In der Folge nimmt er als Regisseur auch massive Änderungen im Bühnen- und Technikkonzept vor. Licht- und Ton-Technik werden radikal reduziert, bzw. weggelassen, ebenso die Kostüme (jeder hat nur mehr ein einziges Kostüm, – und diese stammen z. B. schlicht aus der Kleiderkammer in der Mentergasse), ebenso der Bühnenbau, der nunmehr ganz andere Funktionen bekommt. Auf diese Weise schafft Suchy eine Konzentration auf die Figuren und deren Spiel. Vieles, was in den Produktionen davor, Energie und Aufmerksamkeit gebunden hatte, ist einfach nicht mehr vorhanden. Anstelle der „Technik“ steht nun das „Spiel“ – und auch eine neue verheißungsvolle Spiel-Freude. Die erste Produktion, die Suchy mit der Gruppe erarbeitet, ist „DOSCHNFEIDL & NOCHDIGOI“. Es folgen „HEABSDSCHONZEID“ und „DE PROFUNDIS“ und „IN BODSCHADN KENICH SEI BRIADABRUAD, in denen Suchy auch als Akkordeonist mitwirkt. Mit letzteren beiden Produktionen gehen wir auch wieder hinaus, um neue Räume und Menschen zu erleben. 2016 spielen wir in einem gerade nicht benötigten Pavillon im psychiatrischen Krankenhaus Otto Wagner Spital, 2017 im Kloster der Salvatorianer. Jedes Produktion ist Neuland.